Heilbronn: Start-up-Mekka mit Ausstrahlung

von 42 Heilbronn

Es geht bergauf: Nach krisenhaften Jahren in der Start-up-Szene steigt die Zahl der Neugründungen 2024 erstmals wieder an. Was es jetzt für einen echten Aufschwung braucht, diskutieren Miriam Wohlfarth, eine der ersten Fintech-Gründerinnen in Deutschland und 42HN-Boardmitglied, und Oliver Hanisch, Geschäftsführer des Heilbronner Start-up-Hubs Campus Founders. Ein Gespräch über die deutsche Fehlerkultur, das Silicon Valley als Mindset und Heilbronn als Vorbild für den notwendigen Wandel.

Wo steht die deutsche Tech-Szene im internationalen Vergleich?

Oliver Hanisch (OH): Das kommt ganz darauf an: Oft heißt es, wir würden hinter Asien und den USA weit hinterherhinken. Was die Forschung im Tech-Bereich angeht, besetzen wir in Deutschland jedoch nach wie vor Spitzenränge! Etwa wenn es um Patentanmeldungen geht, stehen wir im internationalen Vergleich sehr gut da. Unser Problem ist aber, dass wir diesen Ideenreichtum nicht auf die Straße bringen. Wir haben diesen großen Geist der Wissenschaft, aber wenn es dann um Unternehmertum – ums Machen – geht, schrecken wir in Deutschland oft zurück.

Miriam Wohlfarth (MW): Ganz genau! Unternehmertum ist in Deutschland enorm negativ besetzt. Das sind Menschen, die habgierig sind und sich auf Kosten anderer bereichern wollen, so in etwa der Tenor. Da muss man nur am Sonntagabend mal den Tatort einschalten, das Kulturgut in Deutschland schlechthin: In wie vielen Folgen sind Unternehmerinnen und Unternehmer da die Bösen? Dazu kommt ein großes Sicherheitsdenken: Möglichst lange in einem Konzern bleiben, keine großen Risiken eingehen, das war die letzten Jahrzehnte das Mantra in Deutschland. Dabei haben wir eigentlich bewiesen, dass wir die Dinge auch anpacken können – siehe die Wirtschaftswunderjahre. Im Grunde waren das damals alles Start-ups: Man hat sich wirklich etwas getraut und letztlich kaum Vorstellbares vollbracht.

Also ist Kulturwandel das Stichwort?

OH: Auf jeden Fall. Gerade wenn es ans Gründen oder die Zusammenarbeit mit Start-ups geht, werden viele Ängste wach. Man startet eben nicht mit der perfekten Lösung, sondern entwickelt sie erst im Prozess. Da gibt es keine Garantie, dass am Ende alles gut gehen wird. Ein tieferliegendes Problem ist auch unsere Fehlerkultur in Deutschland. Das Scheitern wird schnell sofort als „Fail“ abgekanzelt, wo es andernorts als Lernerfahrung gilt. Bei Campus Founders arbeiten wir deswegen schon sehr früh mit jungen Menschen zusammen und führen sie langsam an das unternehmerische Denken und Handeln heran. Wir gehen beispielsweise an Hochschulen und begleiten die Projekte von Studierenden. Dabei ermutigen wir sie, mit ihren Ideen noch einen Schritt weiterzugehen. Und wenn sie es wagen, stehen wir ihnen bei dem gesamten Prozess zur Seite: Wir bieten eine große Plattform zur Vernetzung, Mentoringprogramme, aber auch Startzuschüsse, Marktzugänge und Kontakte zu etablierten Unternehmen.

MW: Das ist auch wirklich außergewöhnlich, dass ihr einen so holistischen Ansatz fahrt! In der Regel muss ich mich mit einem fertigen Pitch bewerben und bekomme gar nicht die Gelegenheit, mein Projekt zunächst mal mit jemandem durchzuspielen. Dabei gehen uns viele gute Ideen verloren. Und auch das Netzwerk, das ihr bietet. Als ich mein erstes Start-up gegründet habe, hätte ich davon nur träumen können. Heilbronn ist dafür auch ein wirklich inspirierender Ort.

Inwiefern?

MW: Ich war kürzlich zum ersten Mal in Heilbronn und ich muss sagen: Diese Stimmung in der Stadt hat mich total beeindruckt. Ich war unter anderem auf dem Heilbronn Slush’D zu Gast, dem Start-up-Festival der Stadt, und habe viele tolle Gespräche geführt. In Deutschland verfallen wir teilweise in so eine Endzeitstimmung. In Heilbronn davon keine Spur! Hier ist eine Stadt, die gerade dabei ist, sich völlig neu zu erfinden und ihre eigene Zukunft zu gestalten. Und das in einer enormen Geschwindigkeit.

OH: Dieser besondere Spirit der Stadt hat mich damals sogar aus dem Silicon Valley zurückgeholt. Während meiner Zeit in den USA habe ich viele Angebote aus Deutschland bekommen, aber erst Heilbronn hat mich wirklich überzeugt. Dabei wäre mir die Stadt früher sicher nicht als erstes in den Sinn gekommen! Wenn man hier etwas bewegen will, trifft man auf offene Türen und es wird einem ein großes Vertrauen entgegengebracht, auch durch die Schwarz-Stiftung. Heilbronn ist in diesem Sinn ein Paradebeispiel dafür, welchen Beitrag privatwirtschaftliche Akteure leisten können. Wir sind hier nicht von zeitlich begrenzten Wahlperioden und Förderprogrammen abhängig, sondern können wirklich langfristig Projekte aufbauen. Dazu kommt das hervorragende Ökosystem mit den vielen mittelständischen Unternehmen in der Region und die erstklassigen Hochschulen, die hier ansässig sind.

Soll Heilbronn das neue Silicon Valley entstehen?

MW: Ich würde das Silicon Valley gar nicht in den Himmel heben. In Heilbronn wächst mit dem Innovationspark Künstliche Intelligenz gerade ein neues Zentrum mit internationaler Strahlkraft. Meine Vision ist es vielmehr, dass in Deutschland noch viele weitere Hubs nach dem Vorbild von Heilbronn entstehen, die aber andere Zukunftsthemen bedienen.

OH: Stimmt, wir haben in Heilbronn nicht den Anspruch, den USA nachzueifern. Manches wollen wir hier auch gar nicht haben… Aber: Silicon Valley ist nicht nur ein Ort, sondern ein Mindset. Und davon könnten wir uns eine Scheibe abschneiden!

Wie arbeitet Campus Founders mit der 42 Heilbronn zusammen?

OH: In einem unserer gemeinsamen Formate CTO To Go sprechen wir gezielt Tech-Talente an. Aus Erfahrung wissen wir, dass gut aufgestellte Gründungsteams diverse Fähigkeiten umfassen. Häufig ist in den Teams aber nur das Businesswissen vorhanden, während es an Expertise im Tech-Bereich mangelt. Wenn diejenigen, die das Produkt am Ende bauen, den Prozess von Anfang an mitgestalten – dann entstehen ganz andere Lösungen! Deswegen müssen wir gerade junge Menschen aus den technischen Fachrichtungen vom Gründen begeistern und ihnen diesen spannenden Karrierepfad aufzeigen. Und 42-Studierende sind hier die idealen Kandidaten. Einige davon haben wir schon bei der Start-up-Gründung begleitet.

MW: Das kann ich nur bestätigen. An der 42 wird auf eigenständiges und kollaboratives Lernen gesetzt. Dabei wird die Fähigkeit geschult, sich auf andere Ideen einzulassen, gemeinsam an einem Problem zu arbeiten und auch mal völlig andere Wege zu gehen – also Schlüsselqualifikationen fürs Gründen. In herkömmlichen Studiengängen wird hingegen stoisch darauf geachtet, den Lehrplan durchzubringen. Wirklich Neues entsteht da nicht.

Was würdet ihr 42-Studierenden raten, die ein Start-up gründen wollen?

MW: Traut Euch und habt keine Angst vor dem Scheitern! Meine Erfahrung: Es gehört mit zu den schönsten Erfahrungen im Leben, die eigene Idee in die Tat umzusetzen. Die Lernkurve ist wirklich unglaublich – und macht einen, selbst wenn es schief geht, zu einem tollen Kandidaten für andere Stellen.

OH: Ganz nach meinem Lieblingsslogan von Nike: „Just do it!“

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