“Die Tech-Industrie hat ein Marketing-Problem!“

von 42 Heilbronn

Frauen sind in der Tech-Welt nach wie vor eine Seltenheit – das kann so nicht bleiben! Yip Thy-Diep Tha, Blockchain-Expertin und Gründerin des all-female SystAIn3r Hackathon, erklärt im Interview mit der 42 Heilbronn, wie die Szene sich verändern muss, um mehr Frauen für sich zu gewinnen. Ein Gespräch über ein überfälliges Re-Branding, neue Arbeitsweisen und Programmieren mit Purpose.

Yip, warum ist es überhaupt wichtig, dass mehr Frauen in der Tech-Welt Fuß fassen?

Die Tech-Branche ist aktuell eine der werthaltigsten Branchen überhaupt. Hier sammeln sich die Unternehmen mit der größten Marktkapitalisierung, in kaum einer anderen Industrie fließt so viel Geld. Wenn Frauen hier nicht vertreten sind, bedeutet das, dass sie aus dieser Wertschöpfungskette ausgeschlossen bleiben. Und das hätte gravierende Folgen für die Einkommensverteilung und den Gender Pay Gap.

Dazu kommt, dass dieser Bereich gerade noch am Entstehen und Wachsen ist, siehe KI und Web3. Hier liegt noch ein riesiger Gestaltungsspielraum, anders als in anderen Branchen wie etwa der Bankenwelt. Umso wichtiger ist es, dass Frauen da jetzt mitreden und sich einbringen. Schließlich werden diese Technologien unsere Zukunft bestimmen und dürfen nicht nur von Männern designt werden.

Ein Blick auf die Zahlen ist nicht gerade vielversprechend: 2021 lag der Frauenanteil in den Informatik-Studiengängen bei knapp 22 Prozent.

Diese Zahlen sind frustrierend, aber nicht gerade verwunderlich. Schließlich schafft es die Tech-Welt nicht, ein attraktives Angebot für Frauen zu schaffen. Beim Stichwort Programmieren denken viele an komplexe Algorithmen und lange Datensätze. Was man damit aber bewirkt, kann sich niemand so richtig vorstellen. Dabei ist das für Frauen bei ihrer Berufswahl total entscheidend: Wir wissen, dass Frauen ihre Arbeit häufiger nach Sinnhaftigkeit und gesellschaftlichen Impact auswählen. Und genau da hat die Industrie ein enormes Marketing-Problem! Mein Ziel ist es deswegen, ein Rebranding der Szene zu bewirken, nach dem Motto: „Technology as a force for good.“

Du bist schon lange im Bereich Blockchain unterwegs. Wie ist es für dich persönlich, als eine von wenigen Frauen in einer männerdominierten Branche zu arbeiten?

Inzwischen stört mich das kaum noch. Denn: Ich halte ich es einfach wie Pippi Langstrumpf und mache mir die Welt, so wie sie mir gefällt. Ich habe angefangen, Vorträge zu halten und immer mehr Veranstaltungen selbst zu organisieren, um Frauen in der Branche stärker miteinander zu vernetzen und neue Frauen reinzuholen. So habe ich Stück für Stück ein Netzwerk aufgebaut. Ende September fand der SystAIn3r Hackathon in München statt, der sich explizit an Frauen richtet – ein großartiges und inspirierendes Erlebnis. In den Challenges haben wir die Themen KI, Blockchain und Nachhaltigkeit miteinander verbunden und Frauen aus allen verschiedenen Branchen eingeladen, kluge Lösungen für die Zukunft zu finden.  

Das klingt sehr interdisziplinär. Wie funktioniert das konkret?

Wir brauchen in der Tech-Welt nicht nur Software-Entwicklerinnen mit technischem Know-how, sondern auch Wissen aus allen anderen Bereichen. Wenn ich etwa Datensätze für die Environmental Social Criteria (ESG) optimieren will, brauche ich auch Umweltexpertinnen und Sozialwissenschaftlerinnen. Sonst gerate ich immer wieder in Sackgassen. Wenn ich Frauen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenbringe, entstehen ganz neue holistische Ansätze. Und ein Effekt ist auch: Sobald Frauen aus anderen Branchen da waren und gesehen haben, was für tolle Sachen mit der Technologie möglich sind, sind sie Feuer und Flamme – und wollen selbst besser verstehen, wie sie funktioniert.

Gibt es noch weitere Unterschiede zu herkömmlichen Hackathons?

Auf jeden Fall! Unsere Veranstaltungen folgen einem grundlegend anderen Design. Denn für Frauen sind oft Dinge wichtig, die in den bestehenden Hackathons gar keine Beachtung finden, etwa Atmosphäre und Umgebung. Auf dem typischen Hackathon kommt man rein, es gibt überall Pizza und Bier, dazu 10.000 LAN-Kabel, alle sitzen für sich vor dem Computer und die Luft steht, weil vielleicht einmal am Tag gelüftet wird. Unser Hackathon gleicht dagegen fast einem Retreat: Die Räume sind ästhetisch ansprechend, es gibt Well Being- und Yogasessions zwischendurch und man fühlt sich von Minute eins an willkommen. Außerdem setzen wir auf ganz andere Arbeitsweisen, denn Frauen arbeiten viel kollaborativer. Zwischen Arbeitssessions gibt es in kurzen Coachingsitzungen immer wieder die Möglichkeit, sich auszutauschen und gegenseitig die Projekte vorzustellen. Dabei hat sich auch gezeigt: Durch dieses Sprechen und Zuhören lernt man sehr viel voneinander und dadurch insgesamt besser und schneller.

Eine Alternative wäre es, Euch in existierende Formate einzubringen und darin Veränderungen zu bewirken…

Das haben wir! In einer meiner Initiativen haben wir Frauen gecoacht, die dann in insgesamt 15 Teams bei einem Hackathon in Frankreich an den Start gegangen sind und ganze 50.000 Dollar Preisgeld geholt haben. So etwas ist enorm wichtig, um zu zeigen: Wir brauchen Frauen nicht in der Tech-Welt, um die Frauenquote zu erfüllen – sondern weil sie gut sind! Aber man kann den Kreis eben auch nicht quadrieren. Diese Formate lassen sich nicht komplett auf den Kopf stellen. Und anstatt immer zu versuchen, alte Prozesse zu optimieren und nur ein kleines Stückchen besser zu machen, möchte ich lieber etwas ganz Neues und Innovatives schaffen. Denn das wird dringend gebraucht, auch gesamtgesellschaftlich.

Stichwort Verbessern: Was kann die 42 Heilbronn tun, um ihre Studentinnen noch mehr zu unterstützen?

An der Stelle kann ich nur sagen: Die 42 macht Vieles schon sehr gut! Aspekte wie kollaboratives und gemeinschaftliches Arbeiten, die wir versuchen mehr und mehr in der Szene zu etablieren, sind hier schon lange essenzieller Teil der Ausbildung. Außerdem bietet die 42 durch ihre Community ein echtes Zuhause für neue Coderinnen – und damit einen großartigen Ort zum Ankommen in der Szene!

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